Corona und Postwachstumsökonomie

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Niko Paech ist Professor in Siegen und hat dort den Lehrstuhl für Plurale Ökonomik inne. Nach eigener Aussage hat er reine Umweltökonomie studiert. Er hat sich intensiv mit Wirtschaftspolitik und realer Außenwirtschaftstheorie beschäftigt und forscht mittlerweile insbesondere zu den Themen Nachhaltigkeit, ökologische Wirtschaft und Umweltökonomie. Titel und Inhalt seines sehr interessanten und spannenden Referats im Rahmen einer von uns organisierten Vortragsreihe war „Corona und Postwachstumsökonomik“.

Die meisten von uns werden sich auf diesen Terminus keinen Reim machen können. Postwachstumsökonomie ist eine ökologisch orientierte Teildisziplin der Ökonomik, die auf der Thermodynamik basiert. Diese Disziplin ist aber interdisziplinär verzahnt, orientiert sich also auch an anderen Bereichen der Wirtschaft und Wissenschaften. Deshalb ist die Postwachstumsökonomie heterodox, oder auch transdisziplinär. In dieses Gebiet fallen daher auch die Psychologie, die Kommunikationsforschung oder auch die Kultursoziologie.

Die drei Ebenen der Wachstumsökonomik

Zunächst stellt sich die Frage, welche empirischen Grundlagen es gibt, damit wir davon überzeugt werden, dass unsere Existenz ohne wirtschaftliches Wachstum gesichert ist. Immerhin leben wir im 21. Jahrhundert und sollten in der Lage sein, unsere Volkswirtschaft menschen- und umweltfreundlich zu gestalten. Der Begriff des Wachstums bezieht sich auf das Bruttoinlandsprodukt, das mit der Einfuhr und Ausfuhr sowie Produktion aller Güter und dessen Preis kalkuliert wird.

Eine zweite Frage ist, weshalb Firmen und Politik gezwungen zu sein scheinen, das Bruttoinlandsprodukt ständig steigern zu müssen und allen glauben zu lassen, ohne Wachstum gelinge keine wirtschaftliche Stabilität. Wer treibt uns dazu, stetig auf Wachstum zu setzen und uns diesem wie Käpt’n Ahab dem weißen Wal hinterher zu hetzen?

Der dritte Schritt veranlasst uns, zu schauen, welche Elemente es braucht, um das Bruttoinlandsprodukt zurückzufahren und dennoch unser Versorgungssystem aufrecht zu erhalten, so dass eine Existenz innerhalb ökologischer Grenzen möglich ist. Dieses Herunterfahren unserer Wirtschaft tituliert Paech als die Postwachstumsökonomie.

Ziele der Postwachstumsökonomie

Das vordergründigste Ziel ist selbstverständlich jenes, zu überleben. Wir können zurzeit jedoch nicht mehr ohne Wachstum überleben. Ebenso wenig können wir uns vorstellen, ohne unsere technischen Errungenschaften und ohne Globalisierung zu überstehen. Es gibt zudem einfach kein reales Szenario der Zukunft ohne unsere Möglichkeiten, sollten wir nicht in einem neuen Mittelalter enden wollen, wie Robert Harris dies in seinem Buch „Der zweite Schlaf“ distupiert.

Die zum Scheitern verurteilte aktuelle Wirtschaftslage

Zurzeit befinden wir uns aber in einer Situation, die eine Existenz der Menschheit auf diesem Planeten ebenso unmöglich macht. Paech nennt verschiedene Gründe des aktuellen Scheiterns. Zu betrachten ist zum einen der Overshotday. Es ist der Tag, an dem alle Ressourcen für ein Land aufgebraucht sind, die es in einem Jahr verbrauchen dürfte, damit die Erde dauerhaft weiter Leben beherbergen kann. In Deutschland war es der 3. Mai 2020. In den letzten Jahren lag dieser Tag erst im August. Wir sehen, der Tag war dieses Jahr also noch früher als sonst.

Ein Beispiel mit einfachen Faktoren: Auf einer Insel leben 100 Menschen und es gibt 1000 Kokosnüsse. Jedes Jahr kommen 100 Kokosnüsse dazu. Das bedeutet, es dürfen nicht alle 1000 Kokosnüsse verbraucht sein, denn sonst gibt es im nächsten Jahr nur 100 Nüsse und damit viel zu wenig. Daher stehen einem Inselbewohner pro Jahr 40 Nüsse zu, damit eine dauerhafte Ernährung gesichert ist. Die Inselbewohner verbrauchen aber 700 Nüsse pro Jahr. Einzelne 70, andere nur 10. Die gierigsten Inselbewohner verbrauchen 100 Stück, wobei sie nach 5 Monaten schon 50 Kokosnüsse gegessen haben. Wir sehen, die Rechnung geht vorne und hinten nicht auf. Besagte Insel ist vermutlich die Osterinsel, welche ein gutes Exempel für das Aussterben eines Volkes aufgrund ihrer Gier ist. 

Ein weiteres Problem, das mit der Ressourcenverschwendung Hand in Hand geht, ist der Klimawandel. Das ausgerufene Ziel der Pariser Klimakonferenz, die Erwärmung nur um 1,5 Grad erwärmen zu lassen, ist nicht mehr zu erreichen. Die Hitze des Ortes wird also einfach um 2 Grad angehoben. Für Wasser spielt es ja keine Rolle, ob es 0 Grad ist oder 2 Grad. Moment… oh… doch! Sonst schmilzt es ja. Ach egal, wer braucht  auch schon Eis. Außer Plankton. Und Wale. Und die Weltklimaanlage, der Golfstrom. Aber sonst niemand.

Aber im Ernst, wir müssen alles tun, um unsere Erde zu erhalten. Was ist also zu tun? Es gibt definitiv keine Möglichkeit, das Wachstum weiter voran zu treiben, dabei keine Ressourcen zu verschwenden und folglich Klimawandel zu stoppen. Eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Klimawandel ist undurchführbar. Aktuell lautet die Devise: Wachstum und Ressourcenverbrauch bis zum Hitzetod.

Paech ist der Meinung, dass selbst regenerative Energien den Planeten nicht retten können, da es zu viele Fallstricke gibt. Trotz unseres Ausbaus der erneuerbaren Energien nämlich steigt der Ressourcenverbrauch Deutschlands. Es werden dennoch ganze Gebiete zerstört und die Artenvielfalt schwindet. Das liegt daran, dass die Menschheit den technischen Fortschritt überhöht und ihn nahezu religiös anhimmelt. Wir leben in einer Zeit der totalen Selbstüberschätzung unserer technischen Möglichkeiten. Aber auch der Wasserstoff wird uns nicht retten können.

Denn, und damit kommt ein weiterer Grund des Scheiterns, wird es immer Rebound-Effekte geben. Bisher ist es nämlich nie gelungen, ein ökologisches Problem mit technischen Mitteln zu lösen, ohne alle Elemente wie Räumlichkeit, Zeit, Stoffe und System und deren Verlagerungseffekte zu berücksichtigen. Vereinfacht ausgedrückt: Seit es die Energiesparlampe gibt, lassen sich alle Menschen elektrische Rolladen einbauen, weil sie ja an anderer Seite sparen, was den Spareffekt der Energiesparlampe ad absurdum führt. So werden komischerweise gerade in der Bundesrepublik unzählige Investitionen in vermeintlich Grüne Energien gesteckt. Sonderbar ist jedoch, dass der Ressourcenverbrauch in den Bereichen eben dieser Investitionen ebenfalls steigt. Ich gebe hier wieder ein Beispiel: Es gibt unter anderem bei Fluggesellschaften die Möglichkeit, für den Flug eine Nachhaltigkeitsabgabe in Form eines Öko-Aufpreises zu leisten. Diese Abgabe verursacht ein reines Gewissen beim Kunden, der viel mehr reist als zuvor — schließlich tut er ja etwas Gutes für die Natur.

Der letzte Grund ist die Überschätzung der Akteure in der Klimapolitik. Wir müssen selber individuell etwas unternehmen, so Paech. Natürlich hat die Politik eine Verantwortung, aber auch wir als Konsumenten tragen Verantwortung.

Rettung durch Reduktion

Erstens muss der CO2-Verbrauch der Bundesrepublik drastisch gesenkt werden. Von aktuell 12 Tonnen pro Kopf jährlich müssen wir auf 1,5 Tonnen kommen, also zehn mal weniger. An diesem Wert zeigt sich, dass Klimaschutz und globale Gerechtigkeit nicht zu trennen sind, denn wir müssen uns wie alle Menschen einschränken. Gerechtigkeit bedeutet nicht, dass unsere Regierung ein Paar Milliarden in grünes Wachstum investiert. Nein, es bedeutet, dass alle Menschen auf dem Planeten, insbesondere wir Reichen, zum Handeln aufgefordert werden. Gerechtigkeit ist interpersonell.

Ein Überleben der Menschheit ist folglich nur möglich, wenn sich alle beim Konsum und damit Ressourcenverbrauch einschränken und die wirtschaftliche Produktion zurückgefahren wird. Im Moment erleben wir allerdings einen Aufschwung der Güterproduktion. Demgegenüber müsste sich die Wirtschaft auf ein besseres Produktions-Verbrauchs-Verhältnis einpendeln, so dass eine Waschmaschine halt 40 Jahre halten kann. Damit das Konsumgut länger hält, braucht es Innovation. Um dies zu erreichen, muss in der doppelseitigen Reduktionsstrategie selbstverständlich die Nachfrage gesenkt werden. Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch eine Angebotsreduktion. Unsere Produktion muss heruntergefahren und die Arbeitszeit verringert werden. Zudem muss die Qualität der Produkte steigen. Das heißt jedoch nicht, dass wir nicht auf erneuerbare Energien bauen können. Besser steigen wir gestern als heute aus der Kohle aus. Auch der Gasverbrauch ist mit 25 % Anteil an der Energieproduktion viel zu hoch. Aber die Energiewende muss hauptsächlich daraus bestehen, Energie einzusparen.

Sättigungsphänomen des Konsums durch Zeitraub

Dies kann durch eine neue Mikroökonomik geschehen. Doch was ist das? Wir müssen unser Konsumverhalten völlig neu denken. Bisher wird uns vom Kapitalismus erzählt, dass Glück, Lebensqualität und Zufriedenheit nur durch Konsum gesteigert werden kann. Aber Konsum trägt nicht zu unserem Wohlbefinden bei, denn der Mensch ist gar nicht in der Lage, über eine bestimmte Grenze an Gütern hinaus mehr Glück zu empfinden, denn es gibt Sättigungsphänomene, die durch Vielfalt an Konsumalternativen zwar behoben werden können, aber der Mensch nicht die Fähigkeit hat, das Glücksgefühl ins Unermessliche zu steigern. Denn jeder Konsum in einem multioptionalen Konsumraum kostet uns viel Zeit. Es braucht Zeit, etwas auszusuchen, dorthin zu fahren, es zu besorgen, sich anschließend damit zu beschäftigen und vieles mehr. Zeit ist jedoch das knappste Ressource, über die der Mensch überhaupt verfügt. Jeder Achtzigjährige kann Dir sagen, wie schnell das Leben doch vorbei ist. Auch wenn wir mehr Möglichkeiten haben, Güter zu konsumieren, fehlt uns doch die Zeit dazu. Selbst wenn wir schneller konsumieren, werden wir zwar objektiv gesehen reicher, aber wir saugen uns selbst die Zeit aus für eine Menge Firlefanz.

Irgendwann ist dann der Punkt gekommen, an dem wir so viel Zeit in ein Gut investiert haben, dass es nicht nur kein Glück mehr beschert, sondern wir sogar darüber Depressionen bekommen. Die Zahl der verschriebenen Antidepressiva hat sich in den letzten Jahren verdoppelt, und zwar in den wohlhabenderen Milieus, in denen sich der materielle Reichtum gerechter verteilt hat, also bei der Mittelschicht, welche immer mehr Optionen zum Konsumieren hat.

Wie gelingt die doppelseitige Reduktionsstrategie?

Scheint es dann nicht ethischer, den Konsum herunterzufahren, sprich das eigene Leben zu entrümpeln? Paech ist der Ansicht, dass es gelingen kann. Dazu brauch es Suffizienz, also die Reduktion von Güterherstellung und das Absenken unseres Konsumverlangens. Radikal wäre dies eine völlige Abstinenz der Wohlstandsgüter. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Konsumgüter unserer Gesellschaft entschleunigt werden müssen, indem wir die Kaufaktivität für ein Gut strecken. Die Reduktion muss natürlich effizient sein. Dies gelingt unter Anwendung bestimmter Kriterien.

Ein Kriterium ist nicht das Wachstum, sondern ein umweltverträglicher Verbrauch einer begrenzten Ressource, die dort zum Einsatz kommt, wo sie wirklich gebraucht wird und nützlich ist. Palmöl beispielsweise ist in vieler Hinsicht ein Wundermittel, wird aber größtenteils auch dort verarbeitet, wo es gute Alternativen gibt. Paech nennt diese Ressource Energie. Soll wirklich so viel Energie aufgewendet werden, um Werbelichter in der Stadt mitten in der Nacht zu beleuchten, oder soll diese Energie lieber in ein Krankenhaus fließen?

Es müssen folglich die Grundbedürfnisse von dekadentem Luxus unterschieden werden, so Paech, um effizient mit den Ressourcen des Planeten umzugehen. An dieser Stelle ist nicht nur die Politik gefragt, denn diese kann uns nicht vorschreiben, welche Güter wir zu kaufen haben oder welche Reise wir zu machen haben. Nein, wir müssen in der Gesellschaft einen Diskurs führen, damit jede*r Einzelne zu der Ansicht kommt, seinen Konsum zu reduzieren, damit die globale Gerechtigkeit greifbar wird. Wir müssen ja nicht dem kompletten Luxus entsagen, sondern nur dem, der der Umwelt und der Natur schadet und ein ökologisches Allokationsproblem verursacht.

Wirtschaftliche Versorgungssysteme neu gedacht

Damit das Ganze wirtschaftlich funktioniert, müssen drei Versorgungssysteme unserer Welt neu gedacht werden. Bei einer Neuordnung muss das Bruttoinlandsprodukt stufenweise verkleinert werden. Länder mit doppelter Konkursverschleppung, ökonomisch wie ökologisch, müssen ihre Wirtschaft mithilfe der gegeben Technik herunterfahren, um weniger Ressourcen zu verbrauchen. Das hätte die positive Folge, dass 50 % der Verbrennungsressourcen angespart werden könnten. Die Konsequenz aus diesem Abbau ist aber eine steigende Arbeitslosigkeit. Das kann jedoch nicht Ziel sein, denn eine Partizipation an der Arbeit und damit an der Gesellschaft erhöht das Selbstwertgefühl eines jeden Menschen.

Damit jeder Mensch arbeiten kann, muss die Arbeitszeit auf 20 Stunden die Woche gekürzt werden. Ferner darf die Versorgung der Menschheit nicht gefährdet werden. Der Rückbau des Ressourcenverbrauchs darf also nicht auf Kosten der Armen gehen, sondern muss ethisch und ökologisch vertretbar sein. Aber es muss weniger Technik eingesetzt werden, denn diese frisst Energie. Zudem dürfen die Gesellschaften nicht so arg vom Kapital abhängen.

Ferner müssen die Produktionswege verkürzt werden. Das kann dazu führen, dass unsere Konsumgüter qualitativ hochwertiger werden, denn da weniger Produkte hergestellt werden können, müssen die Hergestellten länger halten. Das spart wiederum die oben erwähnte Konsumzeit, welche stattdessen in andere Dinge fließen kann. Dazu gehören Nachbarschaftshilfe, Mitmenschlichkeit oder auch in die Reparatur kaputter Produkte. Außerdem können die Menschen sich die Produkte teilen. Es können demzufolge neue Systeme der Gemeinschaft entstehen, die die Konsumenten zu Prosumenten machen. Die Menschen teilen sich die Arbeit auf, so dass die Effizienz gesteigert und die Autonomie vom Wachstumsgedanken gesteigert wird.

Das Ende vom Lied

Wir sind nicht mehr überlebensfähig, wenn die Erde zerstört ist. Paech ist der Meinung, dass die Rettung der Erde nicht klappen kann, wenn die Parlamente Anreize schaffen, die die Firmen zu nachhaltigem Handeln veranlassen. Denn die Anreize haben immer das Ziel, mithilfe verbesserter Technik unseren heutigen Lebensstandard zu verbessern. Es muss also ein grundsätzliches Umdenken bei jedem einzelnen Individuum stattfinden, sich sehr stark einzuschränken und sich von seinem Wohlstand zu verabschieden, damit es nicht weiter zur Ressourcenverschwendung kommt.

Die Politik wird die Menschen nicht zu einer solchen Einschränkung bringen können. Deswegen muss es eine horizontale und keine vertikale Nachhaltigkeitskommunikation geben. Das heißt im Klartext, die Bürger müssen sich einig sein, die Einschränkungen hinnehmen zu wollen. Entbehrungen sind es ja nicht, denn keiner wird in solch einer Situation Hunger erleiden oder der medizinischen Versorgung entsagt werden.

Damit wir sehen, ob dieses System funktioniert, muss eine solche Reduktion zuerst in bestimmten Orten erprobt und empirisch untersucht werden. Der Erfolg muss dann weltweit kommuniziert werden, um seine globale Wirksamkeit zu demonstrieren.

von Manuel Hartmann

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